04. Februar 2013 - Badische Zeitung
Mit Ratschreibers Anna fing alles an
MENSCHEN UND MASKEN: Der "Fischer-Schriener" vun Richebach / Wo die Schergässler-Scheren ihren Ursprung haben.
Seit Generationen werden die Schergässler-Scheren im Hause Fischer angefertigt: Schreinermeister Franz Josef Fischer mit der ersten Schere, daneben seine Enkel Niklas (2) und Fabian (5) im Schergässler-Häs und mit Kinderscheren. Foto: Wolfgang Beck
LAHR-REICHENBACH. Schnipp-Schnapp – die Schergässler kommen: Wenn diese über Fasnacht im blauen Häs, mit bunter Maske und gelber Schere durch die Straßen ziehen, dann ist das Scherengeklapper unüberhörbar. Ein halbes Jahrhundert war Franz Josef Fischer der Hofschreiner der Fasentzunft. Vor ihm fertigte sein Vater Josef Fischer die Holzscheren an. Jetzt ist Gerd Furtwängler in Reichenbach der "Scheren-Macher".
Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Schergässler haben ihren Namen nicht von den gelben Scheren. Die "Schergasse", früher Alte Landstraße genannt, hat für die Namensgebung der Zunft Pate gestanden. Dort wurde 1928 erstmals ein "Schergasse-Johrmärkt" abgehalten. Die Zunft der Schergässler wurde erst 1957 gegründet. Ein gewisses Fräulein Anna Himmelsbach aus der Schergass, auch Ratschreibers Anna genannt, war die Urheberin des Zunftnamens. Weil sie Mitte der 1950er-Jahre eine katholische Mädchengruppe leitete, mit der sie an der Fasent teilnehmen wollte, aber noch keinen passenden Namen für die Gruppe hatte, kam sie auf die simple Idee: "Da sich alles, was mit Fasent zu tun hat, in der Schergass abspielt, nennen wir uns Schergässler." Gesagt, getan.
Himmelsbach besorgte blaue Arbeitsanzüge und besetzte diese mit Rüschen aus blauem Krepppapier. Die zum Kostüm gekauften Masken waren zunächst aus Pappmaschee, später aus Holz. Albert Schonhardt aus Simonswald war der Maskenschnitzer für die Reichenbacher Zunft. Da zu einem Schergässler auch eine Schere gehörte, wurde Schreinermeister Josef Fischer aus Reichenbach beauftragt, die Scheren anzufertigen. Das war 1955. Das Scheren-Original, das damals noch silbern bemalt wurde, ist im Besitz von Franz Josef Fischer. Demnächst soll das Original einen Ehrenplatz im Zunftlokal Nörgler bekommen, sagt der Schreinermeister. Sohn Thomas, Fasentnarr in dritter Generation, ist aktueller Oberzunftmeister der Schergässler.
Wie viele Scheren die Fischers in zwei Generationen in Handarbeit gefertigt hatten, weiß Franz Josef Fischer heute nicht mehr genau. Nur so viel: Seine Schwester Mela, heute mit Ehrenmützenträger Gerd Merz in Reichenbach verheiratet, sei es gewesen, die mit der ersten Schere an Fasnacht unterwegs war. Während in den Folgejahren das Häs immer mehr verfeinert wurde – erst aus Stoff und später aus Filz bestand, an dessen Entstehung auch Schwester Annemarie Fischer beteiligt war – kamen 1966 noch weißen Filzkappen dazu. Sie zieren bis heute zwei Hörnle und vervollständigen damit die Zunftfigur der Schergässler.
"Aus silbernen Scheren wurde später gelbe", erzählt Fischer zu Hause in seiner Wohnung. Der Schreinermeister wurde 1975 der "Scheren-Schriener" der Zunft in Nachfolge seines Vaters. Er war es, der im Laufe der Zeit die Buchenholzgriffe der Scheren mit Sperrholz verstärkte, damit diese nicht beim Umzugsgeschehen zu Bruch gingen. Weitere Verbesserungen standen 1991 in der Schreinerei Fischer an: Da wurden Multiplex-Platten aus Birkenholz verwendet, die 13-fach verleimt wurden, um den Scheren noch mehr Stabilität zu verleihen. Heute sind etwa 100 große und 50 kleine gelbe Scheren im Einsatz, wenn die Schergässler in der fünften Jahreszeit auf Tour gehen.
Für den künftigen Bedarf an Scheren ist Gerd Furtwängler zuständig, der als Schreiner das Amt von seinem früheren Handwerksmeister Franz Josef Fischer übernommen hat. Statt in mühsamer Handarbeit, mit Schablonen, Fräse und Bandsäge wird das Holz, so die Auskunft von Furtwängler, inzwischen maschinell an der CNC-Maschine zugeschnitten und anschließend fest zusammengeschraubt und lackiert.